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„Tote-Winkel“-Unfälle – Unfallgeschehen und Maßnahmen

Im Jahr 2016 verunglückten laut amtlicher Straßenverkehrsunfallstatistik insgesamt 81.274 Personen beim Radfahren. Dabei wurden 393 getötet und 14.485 schwer verletzt. Abbiegeunfälle gehören zu den schweren Radfahrunfällen. Besonders schwerwiegend sind die Folgen für Radfahrer, wenn diese in einer „Toten Winkel“-Situation mit einem Güterkraftfahrzeug kollidieren. Mit dem Thema „Toter Winkel“ setzten sich deshalb eine Reihe von Untersuchungen der BASt auseinander.

Neben Untersuchungen des Unfallgeschehens stellt sich die Frage, welche bauliche und betriebliche Ausführung im Knotenpunkt die höchste Sicherheit bietet. Derzeit werden Abbiegeassistenzsysteme diskutiert, die im Lkw beim Abbiegevorgang gezielt warnen, wenn ein Fahrrad übersehen werden könnte. Anforderungen an das Leistungsvermögen solcher Abbiegeassistenzsysteme und ihre Wirksamkeit bestehen noch nicht. Solche Anforderungen sind jedoch für den Gesetzgeber die Basis für die Einführung einer Verpflichtung zum Einbau dieser Systeme.

Hochrechnung des Unfallgeschehens

Im Unfallgeschehen des Radverkehrs besitzt der Konflikt zwischen rechtsabbiegenden Güterkraftfahrzeugen und den in gleicher Richtung geradeausfahrenden Radfahrern eine besondere Bedeutung. Wegen der hohen Verletzungsschwere sind derartige Konflikte besonders gravierend. Unklar waren die genaue Anzahl der Unfälle und die Unfallschwere, welche in einem Zusammenhang mit dem „Toten Winkel“ eines Güterkraftfahrzeuges stehen können. Ein Grund liegt darin, dass in der amtlichen Straßenverkehrsunfallstatistik die Konfliktsituation „Toter Winkel“ nicht explizit erfasst wird.

Insgesamt werden 37 verschiedene Unfallsituationen beim Abbiegen unterschieden. Diese besitzen jeweils einen dreistelligen Unfalltypencode. Im Rahmen der Hochrechnung des Unfallgeschehens wurden mehrere Codes hinsichtlich der Relevanz des Unfallgeschehens qualitativ geprüft und die entsprechenden Unfalltypen zur Beschreibung der Konfliktsituation „Toter Winkel“ ausgewählt.

Die Grafik zeigt 3 Unfalltypen zur Beschreibung der Situation „Toter Winkel“ Verwendete Unfalltypen zur Beschreibung der Situation „Toter Winkel“

Des Weiteren wurde eine Differenzierung der Güterkraftfahrzeuge nach dem zulässigen Gesamtgewicht durchgeführt. Es wurde deutlich, dass „leichte“ Güterkraftfahrzeuge unter 7,5 Tonnen nur unwesentlich zu den schweren Unfallfolgen beitragen. Demgegenüber war bei 90 Prozent der in „Tote Winkel“-Situationen getöteten Radfahrern ein „schweres Güterkraftfahrzeug“ beteiligt. Treffen ein schweres Güterkraftfahrzeug und ein Fahrrad in einer „Tote Winkel“-Situation aufeinander, so wird im Durchschnitt eine Rad fahrende Person bei zehn Unfällen mit Personenschaden getötet; bei Kollisionen mit leichten Güterkraftfahrzeugen ist es „nur“ eine bei 549 Unfällen.

Die Hochrechnung auf das Bundesgebiet für das Jahr 2012 ergab, dass rund 640 Unfälle mit Personenschaden mit 23 Getöteten und 118 schwer Verletzten auf die Unfallsituation zwischen rechtsabbiegenden Güterkraftfahrzeugen und geradeausfahrenden Fahrrädern zurückzuführen sind, die in einem Zusammenhang mit dem „Toten Winkel“ eines Güterkraftfahrzeuges stehen können: Das entspricht einem Prozent aller Radfahrunfälle sowie rund sechs Prozent der dabei insgesamt 406 Getöteten.

Bauliche und betriebliche Aspekte von Knotenpunkten

Im Forschungsprojekt „Toter Winkel – Konflikt zwischen rechtsabbiegenden Lkw und geradeausfahrendem Radverkehr“ der BASt wurden die Verkehrssicherheitsdefizite analysiert. Hier zeigte sich, dass eine flächenhafte Verteilung dieser Unfälle beziehungsweise eine Häufung sehr selten an einem Knotenpunktarm auftritt. Auch offenbarten sich keine besondere Unfallpräferenz für eine Radverkehrsführungsform und keine signifikanten Auffälligkeiten bezüglich Unfallzeitpunkt (Tages-/Jahreszeit), Witterung sowie Geschlecht. Fast alle Unfälle entstanden aus freier Fahrt ohne vorherigen verkehrsbedingten Halt.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, welche bauliche und betriebliche Ausführung im Knotenpunkt die beste Sicherheit bietet, beispielsweise durch die Gewährleistung guter Sichtbeziehungen zwischen Lkw- und Radfahrern sowie gänzlich konfliktfreie Signalisierungsphasen. Daneben bestehen noch weitere Lösungsansätze, wie etwa das Vorziehen der Haltlinie und/oder ein Zeitvorsprung für die Freigabezeiten des Radverkehrs am Beginn der Grünzeit sowie weitere Markierungslösungen in den technischen Entwurfsregelwerken.

Fahrzeugseitige Spiegel

Die ungeschützten Verkehrsteilnehmer werden häufig überrollt, ohne dass Lkw-Fahrer sie vorher wahrnehmen konnten. Bereits in der Untersuchung „Gefährdung von Fußgängern und Radfahrern an Kreuzungen durch rechtsabbiegende Lkw“ wurde der Sachverhalt des unzureichenden Sichtfelds für Lkw-Fahrende nach vorne und auf der Beifahrerseite im Detail analysiert. Mittlerweile wurden Verbesserungen bei der direkten Sicht aus den Fahrzeugen und insbesondere der indirekten Sicht über Spiegel umgesetzt. Spiegel ermöglichen es, den „Toten Winkel“ bei Lkw zu minimieren. Mit Einführung der Richtlinie 2003/97/EG wurde ein größeres Sichtfeld vorgeschrieben, sodass beim Lkw in der Regel sechs Spiegel vorhanden sein müssen, um dieses abzudecken. Weiterhin wurde mit Richtlinie 2007/38/EG vorgeschrieben, dass Lkw über 3,5 Tonnen, die ab dem 1. Januar 2000 in den Verkehr gekommen sind, mit entsprechenden Spiegeln auf der Beifahrerseite bis 31. März 2009 nachgerüstet sein mussten. Bei den Spiegeln ist jedoch für eine positive Wirkung immer Voraussetzung, dass diese richtig eingestellt sind und die Fahrzeugführer sie auch nutzen sowie das Gesehene in besonders komplexen Verkehrssituationen richtig interpretieren und entsprechend reagieren.

Testverfahren für Abbiegeassistenzsysteme

Die BASt konzipierte ein Testverfahren für Lkw-Abbiegesysteme, die im unteren Geschwindigkeitsbereich des innerstädtischen Verkehrs zum Einsatz kommen sollen. Es ist zu erwarten, dass sich ein den aufgestellten Anforderungen entsprechendes Fahrassistenzsystem positiv auf das Unfallgeschehen zwischen rechtsabbiegenden Lkw und Fahrrädern auswirken wird. Anhand der Analysen des Unfallgeschehens erfolgte eine Bestimmung charakteristischer Parameter und Begleitumstände von Unfällen zwischen Fahrrädern und rechtsabbiegenden Lkw. Maßgeblich ist bei Lkw der Geschwindigkeitsbereich bis 30 km/h, bei Fahrrädern bis 20 km/h. Die Bewegung von Lkw und Fahrrad verläuft zunächst in einem Bereich zwischen 1,5 und 4,5 Meter parallel. Die Unfälle geschehen überwiegend auf innerörtlichen Straßen. Basierend auf dem identifizierten Parameterraum, der zum komfortablen Anhalten erforderlichen Zeit und einem geeigneten Kinematikmodell lassen sich die räumlichen Bereiche um den Lkw definieren, in dem eine Umfelderkennung Fahrrader detektieren können muss, damit das Informationssignal durch das Assistenzsystem an die Lkw-Fahrer rechtzeitig ausgegeben wird. Innerhalb des Parameterraums können solche Parameterkombinationen als Testfälle herausgegriffen werden, die den notwendigen Sichtbereich der Umfelderkennung mit möglichst wenigen Fällen nahezu vollständig abdecken.

Deutschland hat einen Vorschlag für Anforderungen an ein Abbiegeassistenzsystem bei den Vereinten Nationen eingereicht. Dort werden bisher zwölf verschiedene Testfälle definiert – unter Nutzung des bereits aus dem Verbraucherschutz bekannten Zielobjektes und der dort verwendeten Bewegungseinrichtung.

Die Grafik zeigt den Versuchsaufbau des Lkw-Fahrrad-Tests Versuchsaufbau Lkw-Fahrrad-Tests: Abstand der ursprünglichen Bewegungspfade A, Kurvenradius R, Abstand des Anprallpunktes von der Fahrzeugfront L

Aus der Unfallanalyse ergeben sich die Parameter Fahrgeschwindigkeit Lkw, Fahrgeschwindigkeit Fahrrad, seitlicher Abstand der Fahrradtrajektorie zur Trajektorie der rechten Kante des Lkw (vor Beginn des Abbiegevorgangs), der Kurvenradius des Abbiegevorgangs und die Anprallstelle des Fahrrads am Lkw.

Eine systematische Variation dieser Parameter beschreibt den Bereich, in dem sich Lkw und Fahrrad bewegen können, und damit auch die erforderlichen Sensorsichtbereiche. Für das Vorschriftstestverfahren werden gezielt Parameterkombinationen so ausgewählt, dass der Sensorsichtbereich mit möglichst wenig Testfällen möglichst gut abgedeckt wird.

Im Gegensatz zu Tests im Verbraucherschutz werden die Fahrversuche hier von menschlichen Versuchspersonen gefahren: Bei Lkw hängt die exakt gefahrene Trajektorie stark vom Fahrzeugtyp und der Konfiguration ab (zum Beispiel Sattelzug mit oder ohne Auflieger). Daher wird für die Fahrversuche ein Korridor vorgegeben, der im Verlauf des Versuchs eingehalten werden muss.

Als Bestehenskriterium für diese Versuchsart wird derzeit vorgeschlagen, dass eine Information so früh gegeben wird, dass der Lkw noch rechtzeitig und komfortabel (mit einer Reaktionszeit von beispielsweise 1,2 Sekunden und einer Verzögerung von 5 m/s²) zum Stehen kommen kann. Eine Information ist, im Gegensatz zu einer Warnung, niedrigschwellig und idealerweise nicht störend – die Analyse der Unfalldaten zeigt nämlich, dass in realen Verkehrssituationen diese Information bereits vor Einleitung des Abbiegevorgangs gegeben werden muss. Effektiv wird also eine Information für jedes überholte oder überholende Fahrrad gegeben. Ein hochintensives, störendes Warngeräusch wäre für eine solche Systemauslegung nicht akzeptabel.

Kamera-Monitor-Systeme

Eine parallele Möglichkeit, die Lage in Bezug auf die im Fokus stehende Rechtsabbiegesituation zu verbessern, wäre die weitere Verbesserung der Sicht der Lkw-Fahrer durch Einsatz von Kamera-Monitor-Systemen, mit denen sich gerade in der Abbiegesituation mit geknicktem Sattel- oder Gliederzug sonst nicht einsehbare Bereiche sichtbar machen lassen. Auch die Darstellung des Lkw samt seines Umfeldes aus der Vogelperspektive durch Zusammensetzung verschiedener Kamerabilder gehört in diese Kategorie der sichtverbessernden Lösungen. Zum Einsatz von Kamera-Monitor-Systemen bei Pkw und Lkw laufen ebenfalls Untersuchungen bei der BASt, um sowohl technische Aspekte als auch Aspekte der Mensch-Maschine-Schnittstelle zu klären. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sollen dazu dienen, Mindestanforderungen an Kamera-Monitor-Systeme festlegen zu können, die in Kraftfahrzeugen anstelle von Spiegeln eingebaut werden sollen. Idealerweise erfolgt zukünftig eine Verknüpfung der Informations- und Warnsysteme in Form von Kamera-Monitor-Systemen und Abbiegeassistenz, um eine optimale Information zu erzielen und damit die Sicherheit weiter zu erhöhen.

Fazit und Zusammenfassung

Das Unfallgeschehen und dabei insbesondere die Folgen für Fahrradfahrer, wenn diese in einer „Toten Winkel“-Situation mit Güterkraftfahrzeugen kollidieren, stellt eine Herausforderung in der Verkehrssicherheitsarbeit dar. Es wird von allen Beteiligten auf nationaler und internationaler Ebene das Ziel verfolgt, die folgenschweren Unfälle zwischen rechtsabbiegenden Lkw und Fahrradfahren zu vermeiden oder abzumildern. Dementsprechend wird erwartet, dass entsprechende Systeme zu einem frühen Zeitpunkt – beispielsweise im Rahmen der ab 2020 greifenden Überarbeitung der General Safety Regulation der EU – verpflichtend eingeführt werden. Dafür ist eine Verabschiedung der Vorschrift in den Fachgremien der Vereinten Nationen erforderlich.